Die im Auftrag der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichthofs tätige Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ hat am 7. Januar 2021 ihr 126-seitiges Diskussionspapier vorgelegt.
Vorgestellt werden darin zahlreiche äußerst innovative Ansätze zur Nutzung (neuer) technischer Möglichkeiten für das zivilprozessuale Verfahren. Einige besonders innovative Vorschläge seien kurz herausgegriffen:
A. Bundesweit einheitliches Justizportal mit entsprechenden Kommunikationsmöglichkeiten
Ein Portal, wie es in anderen Ländern bereits existiert (z. B. in Frankreich mit www.justice.fr, in Österreich mit „ERV für alle“ oder seit November 2020 noch bürgernäher „Justiz-Online“ sowie in Dänemark mit Minretssag), soll
„den Bürgerinnen und Bürgern einen umfassenden Zugang zur Justiz eröffnen, indem es als sicherer Übermittlungsweg dient. Darüber hinaus soll es sämtliche digitalen Angebote der Justiz integrieren, wie insbesondere das Online-Mahnverfahren, das Beschleunigte Online-Verfahren, die „virtuellen Rechtsantragstellen“ und die Möglichkeit zur Teilnahme an einer „virtuellen Gerichtsverhandlung“. Durch Erläuterungen und intelligente Eingabehilfen sollen Rechtsuchende Unterstützung bei der Auswahl des geeigneten Rechtsbehelfs und der Fassung von Anträgen erhalten.“
Quelle: Diskussionspapier, S. 10.
Ein solches Portal mit Nutzung intelligenter Web 2.0-Technologie kann maßgeblich zu einem einfachen Zugang zu Gericht beitragen. Moderne Online-Verfahren, wie sie z. B. im kanadischen British-Columbia genutzt werden, bieten bereits einen derart niederschwelligen Zugang zu Gericht. Es liegt auf der Hand, dass gerade nicht anwaltlich vertretene Parteien von einem solchen Portal auch hierzulande stark profitieren könnten.
Beispiel 1: Thematisch sortierte Auswahlmaske der geplanten Schritte auf www.justice.fr (Frankreich)
Beispiel 2: Serviceangebote auf Justiz-Online (Österreich)
B. Strukturierung des Parteivortrags und des Verfahrens
Eine größere Änderung der ZPO und des bisherigen Verfahrensablaufs würde der Vorschlag einer Strukturierung des Parteivortrags mit sich bringen. Diesbezüglich schließt sich die Arbeitsgruppe den in jüngerer Zeit erhobenen Stimmen in der Literatur an, die allesamt davon ausgehen, der Parteivortrag erfolge vielfach zu unstrukturiert und weise oft zu wenige Wechselbezüge auf („Parteien schreiben aneinander vorbei“).
Literatur: Effer-Uhe, MDR 2019, 69; Gaier, JurPC Web-Dok. 133/2015, Gaier, NJW 2013, 2871; Gaier, ZRP 2015, 101; Greger, NJW 2019, 3429, Köbler, AnwBl Online 2018, 399; Vorwerk, NJW 2017, 2326; Zwickel, Die digitale Strukturierung und inhaltliche Erschließung zivilprozessualer Schriftsätze im Spannungsfeld zwischen Parteiherrschaft und Richtermacht, in: Buschmann/Gläß/Gonska et al., Digitalisierung der gerichtlichen Verfahren und das Prozessrecht – 3. Tagung junger Prozessrechtswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen am 29./30.09.2017 in Leipzig, 2018, S. 179 ff.); Zwickel, MDR 2016, 988.
Strukturierungsarten
Grundsätzlich sind für Schriftsätze folgende Strukturierungsmöglichkeiten denkbar:
Strukturierungsmethode
Methodisch kann die Strukturierung dabei einerseits durch Vorgaben für die Gestaltung der Freitextschriftsätze (z. B. „Pflicht“ zu einer Gliederung nach bestimmten Kriterien) erfolgen. Das große Problem hieran ist aber, dass derartige Freitexte nur schwer digital inhaltlich zu erschließen sind. Zu Recht entscheidet sich die Arbeitsgruppe daher für den Weg eines gemeinsamen Verfahrensdokuments, den sie, im Anschluss an Greger (NJW 2019, 3429, 3431) als sog. „Basisdokument“ bezeichnet.
In der Literatur wurden ähnliche Konzepte bereits unter den Bezeichnungen „Gerichtlicher Datenraum“ (Köbler/Weller, AnwBl Online 2018, 383) sowie „gemeinsames Verfahrensdokument“ (Köbler, DVBl. 2016, 1506; Zwickel, Die digitale Strukturierung und inhaltliche Erschließung zivilprozessualer Schriftsätze im Spannungsfeld zwischen Parteiherrschaft und Richtermacht, in: Buschmann/Gläß/Gonska et al., Digitalisierung der gerichtlichen Verfahren und das Prozessrecht – 3. Tagung junger Prozessrechtswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen am 29./30.09.2017 in Leipzig, 2018, S. 179 ff.) gebraucht.
Nach den Vorstellungen der Arbeitsgruppe sollen die Parteien in diesem „Cloud-Dokument“ (idealerweise auf dem Justiz-Server) ihren Tatsachenvortrag (eine Pflicht zu Rechtsausführungen soll nicht eingeführt werden!) in einer Relationstabelle gegenüberstellen. Die Parteien arbeiten also an einem einzigen Dokument. Eine solche Strukturierung könnte z. B. wie folgt aussehen:
Beispiel für ein Basisdokument in Form einer sog. Relationstabelle
Strukturierungskriterium
Intensiv diskutiert wurde in der bisherigen Literatur zur Schriftsatzstrukturierung über das richtige Kriterium für die Strukturierung (sh. obige Literaturnachweise).
Als zentrales Kriterium für die Strukturierung wählt die Arbeitsgruppe dasjenige der Tatsachenbehauptungen:
„Ausgangspunkt des Basisdokuments ist der Lebenssachverhalt und nicht eine vom Kläger für einschlägig gehaltene Anspruchsgrundlage.“
Quelle: Diskussionspapier, S. 34.
Fazit: Mischung aus formaler und inhaltlicher Strukturierung
Versucht man, den Vorschlag der Arbeitsgruppe in die oben genannten Arten der Strukturierung einzuordnen, so stellt man fest, dass es sich beim Vorschlag des Basisdokuments um ein Hybrid aus formaler und inhaltlicher Strukturierung handelt. Das Basisdokument selbst wird sicher, im Stil einer Eingabemaske, bestimmte formale Vorgaben (z. B. für das Rubrum) machen. Darüber hinaus sollen die Parteien aber auch angehalten werden, ihren Vortrag nach dem inhaltlichen Kriterium der Behauptungen (Lebenssachverhalt) zu ordnen.
Insgesamt lassen sich die Schnittpunkte der von der Arbeitsgruppe vorgeschlagenen digitalen Strukturierung mit der jeweiligen richterlichen Tätigkeit wie folgt veranschaulichen:
Weitgehend der Zukunft vorbehalten und daher verständlicherweise von der Arbeitsgruppe zu großen Teilen ausgespart (sh. dazu aber die Ausführungen entsprechenden Möglichkeiten unter https://opus4.kobv.de/opus4-fau/frontdoor/index/index/docId/9846) ist freilich noch die Technik der digitalen Inhaltserschließung der Eingaben des Basisdokuments (von der automatischen Verlinkung von Treffern in juristischen Datenbanken bis hin zum digitalen Entscheidungsvorschlag). Genau an dieser Stelle, d.h. bei der Erleichterung der richterlichen Arbeit auf dem Weg zum Urteil liegt der wahre Mehrwert einer Strukturierung des Parteivortrags, der damit inhaltlich digital weiterverarbeitet werden kann:
C. Einführung eines Beschleunigten Online-Verfahrens
Mit dem Ausbau der Idee eines sog. „Beschleunigten Online-Verfahrens“ schlägt die Arbeitsgruppe ein völlig eigenständiges, von der Verfahrenseinleitung bis zum Verfahrensabschluss durchkonzipiertes Verfahren vor, das sich grundsätzlich vom erstinstanzlichen ZPO-Regelverfahren unterscheidet:
„Dabei handelt es sich um ein Verfahren mit intelligenten Eingabe- und Abfragesystemen , das in der Regel vollständig im Wege elektronischer Kommunikation geführt wird. Die Verfahren sollen bei bestimmten Gerichten konzentriert werden können, so dass es möglich ist, zentrale Online-Gerichte einzurichten.
Das Beschleunigte Online-Verfahren soll für Streitwerte bis 5.000 € eingeführt werden. Der Anwendungsbereich soll zunächst auf massenhaft auftretende Streitigkeiten zwischen klagenden Verbraucherinnen und Verbrauchern und beklagten Unternehmen beschränkt werden, jedoch in Zukunft auf andere Verfahren erweitert werden können.
Die Teilnahme am Beschleunigten Online-Verfahren soll für Klägerinnen und Kläger freiwillig sein. Für Unternehmen auf der Beklagtenseite soll ein Nutzungszwang eingeführt werden. Dem Gericht ist es möglich, das Beschleunigte Online-Verfahren in ein Regelverfahren zu überführen, wenn ausnahmsweise online ausführbare Verfahrenshandlungen
Quelle: Diskussionspapier, S. IV f.
nicht ausreichen.“
Dieses neuartige Verfahren müsste in der ZPO vollständig durchgeregelt und auch in die Justizorganisation eingebettet werden.
Zwei Kernpunkte des Vorschlags sollen nachfolgend exemplarisch diskutiert werden.
Enger Anwendungsbereich
Der Anwendungsbereich des Beschleunigten Onlineverfahrens soll, nach den Vorstellungen der Arbeitsgruppe, zumindest vorerst relativ eng gehalten werden. Ausgangspunkt der Idee ist der deutliche Rückgang der Eingangszahlen bei Gerichten in Zivilsachen und die damit in Zusammenhang gebrachte Entwicklung privater Legal Tech-Dienstleistungen (Diskussionspapier, S. 76). Diesem Ausgangspunkt entsprechend soll der Zugang zum Beschleunigten Online-Verfahren durch drei Determinanten beschränkt werden:
- Es soll nur für Verfahren mit Streitwerten bis 5.000 € in Frage kommen.
- Das Beschleunigte Online-Verfahren kommt nur in Fällen zum Einsatz, die massenhaft auftretende Streitigkeiten zum Gegenstand haben und die sich für eine digitale Strukturierung in besonderem Maße eignen.
- Es erfasst, nach den Vorstellungen der Arbeitsgruppe, nur Streitigkeiten zwischen klagenden Verbraucherinnen und Verbrauchern und beklagten Unternehmen.
Dieser sehr enge Anwendungsbereich überzeugt auf Anhieb nicht vollständig:
- Statt der Idee , wieder mehr Rechtsstreitigkeiten, die momentan oft durch Legal Tech-Anbieter (z. B. www.flightright.de, www.myright.de, usw.) erledigt werden, zu den staatlichen Gerichten zurückzuholen, kann man auch einfach den Blickwinkel eines nicht anwaltlich vertretenen Bürgers einnehmen, der vor Gericht ziehen muss. Dieser bräuchte aber in allen Fällen, in denen das sog. rationale Desinteresse eine große Rolle spielt und v.a. nicht nur gegenüber Unternehmern (z. B. auch einfache kaufrechtliche Forderungen, einfache mietrechtliche Ansprüche, nachbarrechtliche Streitigkeiten, etc.) einen einfachen Zugang zu Gericht und v.a. auch ein schnelles, digitales Verfahren. Diese Streitgegenstände, die momentan (etwa weil der Bürger vor einem Verfahren zurückschreckt oder weil dies wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, usw.) nur selten(er) vor Gericht landen, müssten aber zunächst durch rechtstatsächliche Erhebungen (z. B. im BMJV-Forschungsvorhaben zum Rückgang gerichtlicher Verfahren) gründlich identifiziert werden.
- Strukturformulare (auch für Freitext; anders das Diskussionspapier, S. 82) eignen sich, wie Beispiele aus dem benachbarten Ausland zeigen (z. B. www.demanderjustice.com oder www.litige.fr) auch dafür, eine Klageschrift oder ein gemeinsames Verfahrens-/Basisdokument auf Frage & Antwort-Basis zusammenzubauen. Eine derart hohe Strukturierbarkeit, wie sie für die Legal-Tech-Anbieter, nötig und charakteristisch ist, ist in einem Verfahren, in dem der Richter wie bisher die Entscheidungshoheit haben soll, nicht erforderlich. Legal Tech-Anbieter betreiben digitale Systeme, in denen vielfach der Computer eine rechtliche Bewertung vornehmen soll. Für ein gerichtliches Online-Verfahren reicht es demgegenüber aber für eine Beschleunigung aus, wenn der Richter nur schneller einen Überblick über den Rechtsstreit gewinnen kann und die Informationen in geordneter Form vorliegen (sh. etwa die Kategorien im Solution Exlorer des CRT oder unter www.demanderjustice.com).
Wünschenswert wäre daher m.E. eher ein optionales (formularbasiertes) erstinstanzliches Online-Verfahren für alle dafür besonders geeigneten Zivilsachen als eine Dopplung von Legal-Tech Angeboten (inner- und außerhalb der Justiz) für bestimmte handverlesene Streitgegenstände. In ausländischen Rechtsordnungen (z. B. Frankreich) wird an einem solchen, breiter einsetzbaren Verfahren, das weniger an sektorielle Legal-Tech-Angebote erinnert, schon gearbeitet!
Große Bedeutung der Schriftlichkeit im Verfahrensablauf
Das „Beschleunigte Online-Verfahren“ soll im Regelfall ohne mündliche Verhandlung ablaufen (Diskussionspapier, S. 93). Diese Vorgabe, die das Verfahren gleichwohl nicht auf ein schriftliches Verfahren beschränkt, wirft die Frage auf, ob ein Online-Verfahren im Bereich niedriger Streitwerte nicht, im Sinne der Bürgernähe, verstärkt auf Videokonferenzen/virtuelle Verhandlungen setzen sollte, um keine zu großen Kommunikationsbarrieren für anwaltlich nicht vertretene Parteien aufzubauen.
Fazit: Legal Tech in der Justiz?
Mit dem Vorschlag eines „Beschleunigten Online-Verfahrens“ beschreitet die Arbeitsgruppe neues Terrain und beweist großen Mut zur Innovation in Form einer zeitgemäßen, niederschwelligen (freiwilligen) Alternative zum herkömmlichen Zivilprozess und auch zum wenig konturierten Bagatellverfahren des § 495a ZPO.
Zumindest leise Bedenken könnten (natürlich nicht abschließend!) mit folgenden Fragen – wenngleich nur an einzelnen Details des an sich begrüßenswerten Vorschlags – angemeldet werden:
- Ist es für die staatliche Justiz wirklich wünschenswert, ein Verfahren nach Machart von Legal Tech-Dienstleistern für ganz bestimmte Ausschnitte aus dem großen Feld der zivilrechtlichen Rechtsstreitigkeiten anzubieten?
- Werden Externe (z. B. Legal-Tech-Anbieter) bereit sein, der Justiz ihre Abfrage- und Eingabesysteme zur Verfügung zu stellen und eignen sich solche Systeme überhaupt für die staatliche Justiz?
- Sollte der obligatorische Versuch einer einvernehmlichen Streitbeilegung (anders als das Diskussionspapier auf S. 89) nicht doch in ein solches Online-Verfahren eingebaut werden? Dieser Versuch muss, wenn man ihn nur als (ggf. digital zu leistenden) Schlichtungsvorschlag oder richterliche „facilitation“ versteht, nicht unbedingt zeitaufwändig sein.
- Müsste ein bürgernahes Online-Verfahren nicht eher auf eine Kopie der mündlichen Verhandlung als auf rein schriftliche/digitale Kommunikation setzen? Schließlich spielt fehlende Kommunikationsgewandtheit einzelner nicht anwaltlich vertretener Parteien ggf. eine Rolle für das Absehen von gerichtlicher Anspruchsverfolgung.
Eigene (geringfügig abweichende) Ideen zu einem digitalen Bagatellverfahren finden sich hier:
D. Vorschläge zum digitalen Verfahrensablauf
Innovationspotenzial hat auch eine ganze Reihe weiterer Vorschläge zum Ablauf des digitalen zivilprozessualen Verfahrens, die hier nur kurz erwähnt werden sollen:
Möglichkeit der Videoverhandlung
Die Arbeitsgruppe macht einen umfassenden Vorschlag zur gerade in der Corona-Pandemie viel diskutierten „virtuellen Verhandlung“.
Literatur: Berlit, jM 2020, 310; Greger, MDR 2020, 957; Fries, GVRZ 2020, 27; Mantz/Spoenle, MDR 2020, 637; Schmidt/Saam, DRiZ 2020, 216; sehr kritisch Reuß, JZ 2020, 1135, 1141 und Paschke, Digitale Gerichtsöffentlichkeit, 2018, S. 280 f.
Über § 128a ZPO hinausgehend, befürwortet die Arbeitsgruppe
„die Schaffung einer gesetzlichen Möglichkeit für eine „virtuelle Verhandlung“ unter Aufgabe des Erfordernisses eines Sitzungssaals. Die Arbeitsgruppe sieht dabei einen Anwendungsbereich nicht nur für die Güte- und die mündliche Verhandlung. Vielmehr würde eine „virtuelle Verhandlung“ auch dazu genutzt werden können, die von der Arbeitsgruppe vorgeschlagenen „Strukturierungstermine“ und das Beschleunigte Online-Verfahren zu erleichtern.“
Quelle: Diskussionspapier, S. 46.
Nach Vorstellung der Arbeitsgruppe soll es demnach auch dem Gericht ermöglicht werden, die Verhandlung per Videokonferenz ohne Präsenz im Sitzungssaal durchzuführen. Die Gerichtsöffentlichkeit soll (nur! – keine Mitverfolgung der Verhandlung über Internetportal!) durch Übertragung der Videoverhandlung in einen vom Gericht bestimmten Raum hergestellt werden.
Für internationale Fälle soll die virtuelle Verhandlung, durch Änderung der §§ 1100 I und 1101 II ZPO der Regelfall werden.
Protokollierung nurmehr per schriftlichem Wortprotokoll
Die Arbeitsgruppe schlägt vor, mittelfristig (ab 2026) nurmehr Wortprotokolle von Beweisaufnahmen, die mittels Spracherkennungssoftware auf Basis von Ton-/Videoaufzeichnungen (§ 160a ZPO soll hierfür um die Videoaufzeichnungen ergänzt werden) zuzulassen:
„Die Anfertigung des Wortprotokolls der Beweisaufnahme soll unter Ausschöpfung der technischen Möglichkeiten, insbesondere der computergestützten Spracherkennung, erfolgen. Zur vorläufigen Aufzeichnung des Protokolls soll daher neben der Ton- auch die Videoaufnahme zugelassen werden.“
Quelle: Diskussionspapier, S. 56.
Elektronisches Titelregister für die Zwangsvollstreckung
Sehr interessant und zugleich praxisrelevant sind die Überlegungen der Arbeitsgruppe zum Elektronisches Titelregister für die Zwangsvollstreckung. Die Arbeitsgruppe schlägt für das Zwangsvollstreckungsverfahren den „Abschied von der vollstreckbaren Ausfertigung in Papierform“ vor:
„Die bereits vom Gesetzgeber angelegten Möglichkeiten des Elektronischen Urkundenarchivs sollten für das Zwangsvollstreckungsverfahren dadurch nutzbar gemacht werden, dass es ein „Titelregister“ auch für gerichtliche Vollstreckungstitel bildet. Es könnte den Vollstreckungsorganen den Zugang vermitteln jedenfalls zu einer (vollstreckbaren) Ausfertigung des jeweils zu
Quelle: Diskussionspapier, S. 109 ff.
vollstreckenden Titels. Es bietet ein zentrales, in technischer Hinsicht sicheres und verlässliches System zur Speicherung und zum Abruf von elektronischen Dokumenten. Voraussetzung ist freilich die Bereitschaft der BNotK, an einer derartigen Erweiterung mitzuwirken.
Veröffentlichung von Entscheidungen
Die Arbeitsgruppe sieht zwar das grundsätzliche Bedürfnis der Öffentlichkeit an einer digitalen Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen (Diskussionspapier, S. 70), sieht aber momentan noch nicht die Möglichkeit zu einer Veröffentlichung aller Entscheidungen:
„Ermöglicht der technische Fortschritt eine zuverlässige Anonymisierung, insbesondere mittels des Einsatzes Künstlicher Intelligenz, können Entscheidungen unmittelbar aus der E-Akte zur Veröffentlichung bereitgestellt werden, ohne dass es eines zusätzlichen Aufwands des Gerichts bedarf. Dies ermöglicht es, Interessierten Zugriff auf sämtliche Entscheidungen der Gerichte zu geben, auch ohne dass ein berechtigtes Interesse dargetan wird. Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass die Entscheidungen in eine justizeigene Datenbank eingespeist werden, auf die sodann ohne Kosten von Dritten zugegriffen werden kann.“
Quelle: Diskussionspapier, S. 71.
E. Fazit
Die Vielzahl an Vorschlägen, die Durchdringungstiefe der einzelnen Themenkomplexe durch die Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ sowie die Innovationskraft der Vorschläge sind beeindruckend.
Klar ist aber auch, dass einige schon jetzt streitige Regelungsmöglichkeiten (z. B. virtuelle Verhandlung, Strukturierungspflicht) erst auf breiterer Basis diskutiert werden müssen. Zudem ist fraglich, ob das staatliche Gerichtssystem vollständig in der Lage sein wird, ähnlich komplexe Aufgaben zu stemmen, wie sie derzeit oft private IT- und Rechtsdienstleister übernehmen (z. B. im Rahmen des Beschleunigten Online-Verfahrens oder beim geplanten Einsatz von KI im Rahmen der Kostenfestsetzung).
Werden aber auch nur einige der Ideen in die Praxis umgesetzt, so ist der Zivilprozess wohl künftig zwar nicht als völlig autonom fahrendes, neuartiges Fahrzeug, aber auch nicht mehr als Postkutsche (so aber noch Greger, NZV 2016, 1 ff.) auf der digitalen Autobahn unterwegs.